Spannend liest sich das Kapitel, in dem beschrieben wird, wie der Krefelder Musikalienhändler Heinrich Band die Concertina zu dem entwickelte, was als Bandoneon «rheinischer Tonlage» zum Tango-Instrument schlechthin wurde. Die Quetschkommode der kleinen Leute kam mit den Emigrantenschiffen vom Niederrhein an den Rio de la Plata. Ebenso aufschlussreich ist das Kapitel über den Tango im Exil: Mitte der siebziger Jahre machten zahlreiche Tango-Musiker während der argentinischen Militärdiktatur Paris zur Exilhauptstadt des Tangos. Sie kämpften mit ihrer Musik gegen die Militärdiktatur und für die Erhaltung der Menschenrechte. Unter dem Eindruck Piazzollas gründeten sie neue Formationen, die nicht die Tradition, sondern die Evolution des Tangos betrieben.
Durch Piazzolla begannen auch klassische Musiker sich für den Tango zu begeistern. In Rotterdam und Paris konnte man nun auch Bandoneon am Konservatorium studieren. Darunter waren europäische Bandoneonspieler wie die Holländer Carel Kraayenhof und Leo Verveide und der Norweger Per Arne Glorvigen, der unterdessen mit dem Geiger Gidon Kremer Tango spielt. Ist Tango eine universelle Musiksprache?
«Wenn ein Musiker sich in diesen Stil vertieft», meint der Bandoneonist Juan José Mosalini, «dann wird er ihn interpretieren können, genauso wie er Jazz oder klassische Musik interpretieren lernt. Mit dem Tango passiert zur Zeit dasselbe, was vor einigen Jahrzehnten mit dem Jazz geschehen ist: Interpreten und Komponisten aus der ganzen Welt entdecken diesen Musikstil und verwenden daraus Elemente, um etwas Neues zu schaffen.»
Mosalini wünscht sich, dass man sich nicht ausschliesslich mit Astor Piazzolla befassen möge. Wichtiger sei es, neue Komponisten zu entdecken und zu fördern. Und der Pianist Gustave Beytelmann pflichtet ihm bei: «Seit dem Tod von Astor Piazzolla fühlen sich die argentinischen Komponisten verwaist, und es gibt mehr junge Interpreten als Komponisten... Wenn niemand neue Stücke komponiert, dann wird sich der Tango in eine tote Musik verwandeln, wie der Barock oder die Klassik.»