In Argentinien sind die meisten Tango-Musiker heute entweder unter dreissig oder älter als fünfzig. Der Grund dafür liegt in der Geschichte des Landes. In den sechziger Jahren interessierte man sich kaum noch für Tango. Mitte der siebziger Jahre kam die Militärdiktatur, und viele Musiker verliessen das Land. «Alles hängt von den politischen Umständen ab», erklärt der Komponist Javier González. «Nach dem Sturz von lsabel Perón wurden mit der Zeit alle nationalen Güter an ausländische Firmen verkauft. Gegenüber diesem Ausverkauf bleibt der Jugend nur noch die Möglichkeit, sich auf ihre kulturelle Identität zu besinnen. Deshalb erlangte der Tango und die argentinische Folklore in den letzten Jahren neue Popularität.»
Die instrumentale Tango-Szene war lange eine reine Männerdomäne. Nur Männer durften im traditionellen Tango ein Instrument spielen oder ein Orchester leiten. In Argentinien ändert sich das nur langsam. «Wenn ich mit meinem Bandoneonkoffer. in den Bus steige, dann schaut mich der Fahrer an, als ob ich etwas Verbotenes tue», erzählt die Bandoneonistin Susana Ratcliff. Aber es gibt inzwischen einige erfolgreiche Frauenensembles wie «Las Tangueras» oder das, Frauentrio «Tango-Marias». - Seit den achtziger Jahren boomt der Tango weltweit. 1983 machte die Tanzshow «Tango Argenti-no», die in Paris mit argentinischen Tänzern produziert wurde, Furore und löste die, Tango-Welle aus. Tanzrevuen wie «Tango Pasión» zogen das europäische Publikum in ihren Bann und machten sich, wie die Autoren kritisch anmerken, vorwiegend Klischees von Erotik und Leidenschaft zunutze: «Aber die spirituelle Heimatlosigkeit der Menschen zur Jahrtausendwende hat mit der realen Heimatlosigkeit italienischer Immigranten zur Jahrhundertwende herzlich wenig zu tun. Andererseits scheint im Tango all das zu stecken, was die zahlreichen Tänzerinnen und Tänzer in ihm sehen, durch ihn empfinden und über ihn sagen.» Nach dem Konkurrenzkampf der Geschlechter herrscht die Sehnsucht, «endlich mal wieder Weib und Kerl sein zu dürfen».