"Der Tango hat so etwas Autonomes."
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Und sie tanzen einen Tango

erschienen im Tagesanzeiger vom 30.6.2010

Rolf Schneider hat den argentinischen Tango vor 20 Jahren nach Zürich gebracht. Für den 72-Jährigen ist Tango dann gut getanzt, wenn sich die Zuschauer wie Voyeure vorkommen.

Von Senta Keller

Die Klischees um den Tango sind so zahlreich wie legendär: Tanzpaare Wange an Wange, feuriger Blick, dramatische Bewegungen. Und an den Adjektiven leidenschaftlich, heissblütig und verrucht kommt keiner vorbei. Die Klischees entsprächen so gar nicht der Wirklichkeit, findet Rolf Schneider. Tango sei zwar ein leidenschaftlicher Tanz - in erster Linie aber eine besondere Form der Kommunikation. Rolf Schneider ist derjenige, der den Tango argentino vor über zwanzig Jahren nach Zürich gebracht hat. Aufgewachsen ist der passionierte Tänzer auf der deutschen Seite des Bodensees auf einem Bauernhof. Während seine älteren Schwestern im Wohnzimmer Standardtänze probten, kam er als DJ zum Einsatz. Als 16-Jähriger besuchte er selber einen Standardtanzkurs, und An: fang der 60er-Jahre nahm er an internationalen Tanzwettbewerben teil. Um sich das Architekturstudium zu finanzieren, absolvierte Schneider in England die Tanzlehrerprüfung. Die Ausbildung kam ihm Mitte der 70er zugute, als sich die Wirtschaftslage verschlechterte: Er arbeitete fortan nicht mehr als Architekt, sondern als Tanzlehrer. Den Tango entdeckte der heute 72-Jährige fünf Jahre später, nachdem ihn die Musik fasziniert hatte. Tango-Showpaare brachten ihm die Schritte bei.

Herr Schneider, Tango wirkt oft theatralisch, wird als leidenschaftlich beschrieben. Trifft das zu?
Natürlich ist Tango ein leidenschaftlicher Tanz. Aber bei der Wirkung auf das Publikum muss man zwischen Show-Tango und dem klassischen Tango, den man in Argentinien tanzt, unterscheiden. Zum Show-Tango gehören eine gewisse Theatralik, ernste Mienen und spektakuläre Figuren. Für mich ist guter Tango aber, wenn sich das Publikum fast als Voyeur vorkommt. Wenn man spürt, wie die Tänzer auf die Bewegungen des anderen und die Musik reagieren und so durch Berührungen kommunizieren.

Buenos Aires ohne Tango und umgekehrt ist kaum vorstellbar. Entspricht das der Realität?
Tango und Buenos Aires gehören durchaus zusammen, allerdings war Tango in Buenos Aires nicht ganz so populär, als ich 1989 das erste Mal dort war. Die meisten Tänzer in den Tanzlokalen waren zwischen 60 und 90 Jahre alt. Seit Tango in Europa einen Boom erlebt, hat der argentinische Staat die Fäden in die Hand genommen. In vielen Schulen ist Tango Pflichtfach, deshalb tanzen heute auch die Jüngeren wieder vermehrt. Der hier so bekannte Show-Tango sieht man in Argentinien hingegen selten. Man tanzt vielmehr sehr eng, Körper an Körper auf einem halben Quadratmeter.

Salonlöwe weckte den Ehrgeiz

Trotz aller Faszination war Rolf Schneider während seines ersten Aufenthalts in der Hauptstadt des Tangos frustriert. Das hier Gelernte war in Argentinien nicht angesagt. Und seine Tanzpartnerin, mit der er nach Buenos Aires gereist war, schwärmte dann auch gar begeistert vom argentinischen Salonlöwen, von dem sie sich übers Parkett führen liess. Schneider packte der Ehrgeiz. Er reiste kurz darauf für fünf Wochen nach Buenos Aires, nahm täglich Unterricht und tanzte sich durch die Tanzsäle der Millionenstadt. In Zürich führte er danach den bis dahin kaum bekannten Tango Milonguero ein. 1994 initiierte Rolf Schneider die Tango-Woche. Und auch wenn er die Organisation vor einigen Jahren abgegeben hat, auch dieses Jahr wird er den einen oder anderen Tanzabend besuchen.

 
Foto aus Artikel
Haltung bewahren. Rolf Schneider (72) unterrichtet Tango. Foto: Doris Fanconi


Sind die Schweizer für Tango nicht zu verklemmt und kontrolliert?
Die Leidenschaft haben auch Schweizer in sich. Das Problem ist, dass bei ihnen schnell der Leistungsgedanke aufkommt, und das kann blockieren. Man muss beim Tango das Risiko eingehen, dass auch mal etwas schiefläuft. Tango ist ein freier Tanz, der über taktile Kommunikation funktioniert. Man studiert nicht strikt Schrittkombinationen ein, sondern muss bereit sein, die Bewegungen des Partners mitzugehen und auf Berührungen oder einen neuen Rhythmus der Musik entsprechend zu reagieren.

Fällt das Schweizern nicht schwer?
Im europäischen Raum wurde die Kommunikation durch Berührung bislang völlig ignoriert. In Südamerika ist sie viel verbreiteter, und deshalb fällt den Südamerikanern der Tango tendenziell leichter. Aber diese Form der Kommunikation können auch Schweizer erlernen. Wenn das ein Tanzpaar schafft, ist die Intimität und Leidenschaft spürbar und muss nicht durch dramatische Mimik oder Gestik ausgedrückt werden.

Finden Männer oder Frauen schneller den Zugang zum Tango?
Definitiv Frauen. Männer brauchen meist zehnmal so lang. Der Mann muss die Führung übernehmen und die Bewegungen vorgeben. Ich wende daher im Unterricht mehr Zeit für Männer auf. Schwer fällt den Frauen hier, Kontrolle abzugeben. In Südamerika kämen die Frauen nie auf die Idee, selbst die Führung zu übernehmen, sie wollen von den Männern vielmehr etwas geboten bekommen. Ich beneide die Frauen, da sie bei jedem Tanzpartner ein neues Repertoire kennen lernen.

Inwiefern kann man daran, wie ein Paar Tango tanzt, etwas über dessen Beziehung im Alltag erkennen?
Man sieht beim Tango gut, wie zwei harmonieren - auch im Alltag. Es kommt immer wieder vor, dass ein Paar einen Tangokurs besucht und dann merkt, dass man mit anderen auf der Tanzfläche viel besser harmoniert. Da ergeben sich Eifersüchteleien oder Aha-Erlebnisse. Ich habe auch schon erlebt, dass ein eifersüchtiger Ehemann seinen Konkurrenten beinahe über den Balkonrand | gehievt hat. Wir konnten zum Glück noch eingreifen.

Beim Tango kommt man sich sehr nah. Werden solche Kurse nicht vor allem zur Partnersuche genutzt?
Das kommt natürlich vor. Tanzkurse gelten ja allgemein als Partnerbörse. Aber wenn man sich verlieben und flirten will, empfehle ich eher Salsa.

Wieso?
Das ist von der Schrittkombination einfacher und lockerer. Tango ist anfangs sehr technisch. Man muss auch eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringen, und damit ist ein Tangokurs wohl nicht ideal, um sich zu verlieben.

Tangowoche: 24.7. bis 1.8. Vorbereitungskurse 5. bis 23.7. www.tangowoche.ch www.rolf-schneider.ch

Artikel mit freundlicher Genehmigung von Senta Keller und vom Tagesanzeiger

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update: 12 Jul 2010 © tangoinfo.ch
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