7.12.2014 Zweiter Teil
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Zu dir persönlich: in deinem Buch Tanze Tango mit dem Leben beschreibst du sehr eindrucksvoll die Hoch's und Tief's im Leben. Das Buch ist auch eine Liebeshymne an deinen Mann Luis Pereyra.
Tanze Tango mit dem Leben ist in der Reihe Liebesgeschichten erschienen (es ist keine Autobiographie, wenn es auch autobiographische Aspekte hat).
Es ist eine wahre Geschichte. Und ja, es ist meine Liebesgeschichte... an den Tanz, an den Tango, an das Land Argentinien und natürlich an Luis. Mit allen Hochs und Tiefs. Sehr ungeschminkt!
Das Buch ist sehr ehrlich, denn es ist die einzige Weise für uns, Dinge zu benennen wie sie sind.
(red. Anmerkung: Buch kaufen es kostet 10 Euro, ca. 13 Fr. Aus meiner Sicht ein ideales Geschenk für Tangueras und Tangueros! Es sind viele Momente darin, die uns irgendwie ganz vertraut vorkommen.)
Habt ihr ausschliesslich gemeinsame Shows oder hat jeder auch zusätzlich eigene Auftritte, Tourneen etc.?
Nicole Nau & Luis Pereyra sind ein untrennbares Team, wenn es um Paartanz geht.
Manchmal aber sehr selten- einfach weil die Zeit es nicht erlaubt tanzt Luis auch als Solist im Bereich Steppen, Perkussion, Boleadoras.
Wir haben allerdings sehr klare eigene Bereiche.
Zum Beispiel: Repertoire, Grundidee der Show und choreographisches Konzept sind von Luis. Kostümdesign, Lichtdesign (zusammen mit Markus Friele, einem hervorragenden Lichtdesigner) sind eher meine Bereiche. Also alles visuelle.
Gehst du auch noch an ganz normale Milongas? Oder ist durch deine vielen Auftritte auch mal ein Sättigungspunkt erreicht?
Wir gehen sehr gerne tanzen. Das liegt aber an dem Zeitdruck. Nach einer Show ist die Arbeit ja noch nicht zu Ende. Als Kompanie-Direktor hängt noch sehr viel Arbeit hinten dran.
Wenn wir mal Zeit haben zum Ausgehen, gehen wir meist in peñas. Eine peña ist eine Zusammenkunft von Menschen, die singen, tanzen, spielen und populäre Musik machen. Bei den peñas folclóricas wird Chacarera gespielt, Gatos und Zambas, Escondidos und auch etwas Milonga und Tango. Keiner tanzt vor oder steht im Vordergrund. In einer peña spielt es auch keine Rolle wie gut jemand tanzen kann.
In einen Salon gehen wir eher selten. Einmal, weil wir so bekannt sind, dass wir gar nicht mehr privat ausgehen können. Zum anderen aber auch, weil viele Salons den privaten familiären Charakter verloren haben. Und genau das familiäre, private wäre uns wichtig, um einen Abend geniessen zu können. Wir mögen weder das chapear (wenn ein Salon genutzt wird, um Werbung zu machen, Schüler anzuwerben, sich darzustellen), noch das Ambiente wenn es zuviel Anmache gibt, also das Ziel nicht mehr der Tanz ist.
Dieses familiäre Ambiente, das wir suchen, finden wir aber in peñas. Also Tanz kommt nie zu kurz. Ausserdem haben wir zu Hause ein eigenes Studio, und einen grossen Garten. Bei jedem Fest wird bei uns zu Hause getanzt.
Als Leistungs-Tänzer wie auch als Leistungs-Sportler ist man irgendwann mit der Frage konfrontiert wie lange kann/ will/ darf ich das noch machen?" Ist dir diese Frage schon einmal durch den Kopf gegangen?
Immer. Ständig. Das hat auch mit Gesundheit zu tun. Jede Verletzung kann ein aus" sein, jede Unvorsicht dich von Deiner Karriere abbringen (Übergewicht, Schlafmangel, Missbrauch von Alkohol, etc). Tanzen ist Disziplin in Grossbuchstaben. Und Tänzer sind wie Soldaten, die erst dann aufhören, wenn sie auf dem Feld umfallen.
Man ist sehr hart im nehmen, weiss mit Schmerzen und Verletzungen zu tanzen, kennt ja Schmerzen tag täglich.
Im Moment haben wir einen goldenen Punkt der Karriere, wo Virtuosität und Reife und Ausdruck sich kreuzen und beides reichhaltig da ist.
Aber klar, das was Luis mit 10 hat tanzen können, kann er heute mit 50 nicht mehr. Aber heute reicht ein Bruchteil, um 100 mal mehr auszudrücken.
Man muss zumindest sehen wir das so - sehr kritisch mit sich selber sein und seinen Tanz an sein Alter anpassen.
Junge Leute, die wie junge Hunde tollen wollen, müssen so sprudelig tanzen. Hier wäre es künstlich, wenn sie Gebärden der Alten imitieren würden, was leider viel zu häufig passiert und immer gekünstelt aussieht. Und mindestens genau so unangemessen ist wie die 70-Jährige, die eine Kopfüberfigur hinlegt.
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Du gibst mit Luis auch normalen Tango-Unterricht, also in den Tango-Szenen. Was bedeutet für dich das Unterricht-Geben an der Basis?
Es gibt für uns eine Regel: an Showtagen geben wir keinen Unterricht. Von daher geben wir sehr sehr selten Unterricht.
Unterricht und Bühnenarbeit sind einfach nicht kompatibel. Es sind so grundsätlich andere Energien für uns, dass wir entschieden haben, das strikt zeitlich zu trennen.
Unterrichten ist ein ganz wichtiger Aspekt für mich. Und ich weiss, da spreche ich auch für Luis. Es ist ein Ausbilden von Tänzern, ein Mitteilen von Konzepten. Ich empfinde es so, dass ich all das, was ich kann und weiss, mitteilen möchte und den Schüler schritt weise begleiten in seiner Entwicklung. Dabei finden wir es enorm wichtig selbstständige, eigenständige Tänzer hervorzubringen. Ich möchte keine Nicole und Luis Clons. Sondern möchte unsere Tanzkultur vermitteln und liebe es zu sehen, wie in jedem ein eigener Tango wächst.
Eigentlich machen wir es mit unserer Kompanie genau so. Unsere Tänzer kommen zu uns, ausgewählt nach Talent. Und einmal in unserer Kompanie werden sie erst einmal ausgebildet. Das ist wie Unterricht.
Bevor wir ein Stück mit ihnen einstudieren können, müssen wir ja erst einmal eine gemeinsame Sprache sprechen.
Luis hat ein goldenes Gehör, bei ihm Unterricht zum Thema Musik zu erfahren, ist ein Geschenk Gottes. Unglaublich, was dieser Mann über Musik weiss, in ihr hört und aus seinen 45 Jahren Tanzerfahrung einbringt. Absolutes Wissen und fundierte Konzepte. Nun muss man aber auch wissen, dass Luis ein Leben ohne Tanz gar nicht kennt. Er tanzt seit seinem 5-ten Lebensjahr und verdient sein Brot mit Tanz seit dem 5-ten Lebensjahr. Alles in seinem Körper ist Musik.
Ich wiederum bin ein grosser Spezialist, Wissen und Können zu übersetzen und dem Laien nahezubringen. Irgendwie habe ich ein Talent mich in jeden Körper und jede Seele hineinzuversetzen und einen Weg zu finden dort etwas zu bewegen. Menschen, die keine Tänzer sind, aber gerne tanzen möchten, finden ja nicht leicht Tanz in sich. Bewegung vielleicht schon. Aber nicht Tanz.
Wir beide, Luis und ich, möchten, dass Menschen tanzen. Je freier und natürlicher die Körper sind, um so mehr werden sie tanzen. Je mehr Formen und Regeln festgesetzt werden, äussere Formen, um so weniger können sie tanzen, um so mehr wird Tanz amputiert. Etwas, das leider viel geschieht, weil Unterricht standardisiert wird, und bei Problemen die Situation eher abgeschafft wird, statt sie tanzend zu lösen.
Ein spannendes Thema.
Auf jeden Fall lieben wir die Arbeit mit Schülern und finden spannend zu entdecken, wieviel Tanz entsteht, wenn wir Konzepte mitteilen und der Schüler den Tanz selber in sich entdecken darf, statt uns zu imitieren in äusseren Formen.
Unterricht geben wir einmal im Jahr in einem Seminar (wegen der grossen Nachfrage sind aus einem Seminar (1 Woche lang) zwei geworden. www.tangotto.de ist der Veranstalter.
Wann können wir dich einmal zu Workshops in der Schweiz antreffen oder auch wieder einmal in Freiburg i.Br.?
Oh, ich würde so gerne kommen. Im Moment hapert es grad an der Zeit.
Aber im März, wenn die Tournee zu Ende ist, könnte ich gerne zwei Workshop-Tage einrichten. Wer Interesse hat, da etwas zu organisieren Luis und ich kommen wirklich gerne zu Euch!
Falls das zu knapp ist wegen der Organisation dann könnte man etwas vor der nächsten Tournee planen. Nur leider leider geht es nie in Verbindung mit der Show.
Zum Schluss noch eine etwas gewagte Frage: Könntest du dir vorstellen, einen grossen Tango-Spielfilm zu produzieren?
Ich könnte mir sehr gut vorstellen einen grossen Tanzspielfilm zu produzieren, aber ich würde ihn ungerne auf Tango limitieren. Irgendwie dreht sich dann immer wieder alles um die selben Themen. Die ich dann einfach unendlich langweilig fände.
Argentinien ist mehr als Tango. Und menschliche Gefühle sind mehr als Liebe und Eifersucht.
Ich könnte mir sehr gut vorstellen einen grossen Spielfilm zu machen, der auch andere Aspekte populärer Musik Argentiniens aufnimmt. Das würde den Film viel reicher machen. Und die Gefühle zu wirklich grossen Gefühlen machen.
Ich könnte mir sogar vorstellen meine eigene Geschichte in einem Spielfilm zu sehen.
Wie schrieb die Zeitschrift Viva in Juni: die Geschichte dieser Frau ist wie ein Drehbuch, so krass, dass jeder Drehbuchautor sie Dir um die Ohren hauen würde!
Mein Lebensweg ist dramatisch genug, um guten intensiven Stoff zu haben.
Folklore und Tango sind wunderbare Gegensätze, die sich auf liebevolle und poetische Weise ergänzen.
Man könnte sie an den beiden Hauptpersonen fest machen:
Luis (Santiago del Estero, arm, karg, Lehmhütten, kein fliesendes Wasser, kein Strom). Nicole (Düsseldorf, Tango, Grosstadt, Buenos Aires, Glamour).
Ich danke dir für unser Interview und wünsche euch ein begeistertes Publikum in Bern, Basel und Zürich!
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Deine Meinung dazu im Foro de tango
Infos zur Tournee am 9., 10., 11. Dezember in Bern, Basel, Zürich
am 31.1.2015 in Lahr, 1.2.2015 in Stuttgart, 2.2.2015 in Bad Säckingen
(redaktioneller Hinweis: Aarau, Chur, St. Gallen finden nach aktuellem Stand nicht statt).
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