"Und immer diese fürchterliche Lust zu weinen..."
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Interview mit Mathis Reichel

+++ Basel 14.10.2000 +++ kurz vor Mitternacht bei einer Milonga im Quba +++

Fragen von tangoinfo an Mathis Reichel, Schulleiter von Buenos Aires Tango Basel:


Foto M. Reichel
Mathis, wann bist du zum Tango gekommen??
"Das war 1985, ich bekam damals von einem Argentinier eine Piazzolla-CD geschenkt. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen."

Seit wann gibst du Unterricht?
Ich gebe Musikunterricht im Fach Gitarre seit 30 Jahren, den Tango-Tanzunterricht seit 1997.

Gibt es nach deiner Erfahrung im Tango so was wie Modetrends?
"Modewellen - schwer zu sagen. Persönlich habe ich in Basel und in unserer Schule immer nur Aufwärtstrends verspürt. In Basel ist der Tango richtig intensiv geworden."

Welche Rolle kommt im Tango den Tanzpartnern zu?
"In der Anfangsphase führt eindeutig der Mann und die Frau reagiert. In einer späteren Phase wird sie mittels Tempo und Verzierungen die Führung beeinflussen. Der Mann nimmt dann wiederum Bezug auf die Reaktion der Frau usw. Dieses Spiel kann man nur bedingt lehren, es entwickelt sich bei den Tanzpartnern im Laufe der Zeit. Man sagt, der Mann sei der Gips, die Frau die Stukkatur. Er führt, sie brilliert."

Für E. S. Discepolo ist der Tango ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann. Wie siehst du das?
"Für mich ist das nicht so. Ich empfinde den Tango aufbauend, selbst wenn er melancholisch wirken mag. Ich verspüre im Tango keine Traurigkeit, sondern eine Fröhlichkeit und habe ein grossartiges Feeling."

Gibt es im Tango Klischees, gibt es Rituale?
"Die Aufforderung der Tanzpartner ist beim Tango einzigartig und läuft über den Blickkontakt. Wenn die Partner nicht wollen, holt man sich damit keinen Korb und es bleiben Peinlichkeiten erspart. Im Niño Bien in Buenos Aires wird das Ritual meisterlich gepflegt."

"Bei tangoinfo stand in einem Interview (siehe Bürkliplatz), dass es in Buenos Aires eine alte, fast vergessene Tradition sei, am Schluss mehrere Cumparsitas zu spielen. Es kommt schon vor, dass sie am Ende einer Milonga gespielt wird, aber nie mehrere hintereinander."

"Bei den Mythen fällt mir noch ein: man hört, dass in der alten Generation durchweg die guten Milongueros seien. Das ist ein Mythos, der nicht existiert! Die jungen Leute tanzen generell besser. Es gab und gibt in der alten Garde natürlich einige sehr gute Tänzer wie Mingo Pugliese, Pupi Castello, Fortaleza, Gavito und Pepito Avellaneda."

Was sind die Tango-Unterschiede zwischen den Europäern und den Porteños? (Anm.: Porteños = Bewohner von Buenos Aires)
"Für die jungen Leute in Buenos Aires ist es schon eine Selbstverständlichkeit, dass sie neben dem Tango auch Salsa, Rock´n Roll, Swing tanzen. In die europäischen Milongas sollten auch latinische Rhythmen einfliessen. Der Tango ist dann nicht isoliert, sondern wird in die normale Tanzszene integriert sein. "

"Aber nicht nur die Tangoszene in Europa muss sich weiterentwickeln: ich war im Sommer bei Mingo Pugliese zu Gast. Er erzählte mir, dass die Porteños auch was von den Europäern lernen könnten, nämlich etwas an Tanz-Disziplin. Die Europäer sind da mit ihren festen Tanzkursen und Lernfortschritten im Vorteil."

Du vertrittst die Meinung, dass die Tangopartner möglichst oft wechseln sollten. Warum?
"Das ist eine Tradition. Ein DJ in Buenos Aires macht nach 20 Minuten eine kurze Pause, dann werden die Karten neu gemischt. Nach 20 Minuten kennt man den Tanzpartner, die Bekanntschaft ist geschlossen - ja, man strebt dann zu einem neuen Kennenlernen. "

Wie oft beginnen bei dir neue Kurse?
"4 mal im Jahr, jetzt starten sie wieder ab 16. Oktober. Zum Schluss will ich noch sagen, dass aus meiner Sicht in der Tangoszene in Basel - gemessen an der Einwohnerzahl - mehr läuft als in Buenos Aires - es gibt in Basel so viele schöne Events! Und, es war ein so grosses Glück, dass ich mit Cintia die Tangoschule "Buenos Aires Tango Basel" aufbauen konnte!

Merci für das Interview, Mathis! (mi)

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update: 23 Oct 2000 © tangoinfo.ch
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